Pyhra als Wallfahrtsort

Von Wilhelm Zedinek Prälat, Abt zu Göttweig

Aufgelegt zu 200. Wallfahrt um Juli 1961

Den wenigsten dürfte bekannt sein, dass Pyhra einmal als Wallfahrtsort eine Rolle gespielt hat. Und doch! Das Gnadenbild der schmerzhaften Muttergottes zu Pyhra war einst weit und breit berühmt und wurde von vielen Wallfahrern aufgesucht. Noch vor 50 Jahren kamen im Frühjahr und Spätsommer zahlreiche Prozessionen, von denen die der Fabriksarbeiter von Wilhelmsburg mit besonderer Feierlichkeit gehalten wurde.(1) Heute geben nur mehr wenige Wallfahrten nach Pyhra,(2) das vergessene Gnadenbild und verstaubte Archivalien Zeugnis von der ehemals blühenden Muttergottesverehrung daselbst.


Über die Entstehung der Wallfahrt wissen wir genau Bescheid. Der damalige Pfarrer von Pyhra, P. Honorius Mötz, hat sowohl die Entstehungsgeschichte, als auch deren weiteren Verlauf der Wallfahrt aufgezeichnet.(
3) Daraus entnehmen wir folgendes: Es war am 1. Mai des Jahres 1753, da zog die Jugend von Pyhra nach dem Gottesdienst hinaus auf eine Anhöhe in der sogenannten Pfarrhofhalt.(4) Es hatte sich am Kirchenplatz herumgeredet, da draußen  gäbe es was zu schauen. Der Lamböck Georg, ein Tagwerker von Pyhra, und dessen Weib hatten eine große Neuigkeit unters Volk gebracht. Tags zuvor war ersterer ausgegangen, Schwämme zu suchen. In der Pfarrhofhalt sah er nun eine Amsel, die mit der Atzung im Schnabel in ein Gebüsch hineinflog. Der Mann verfolgte sie, in der Hoffnung, junge Vögel zu finden. Wie erstaunte er aber, als er mitten im Dickicht einen freien ausgehackten Gang vorfand, drei Klafter lang und so breit , dass eine Person bequem hindurchgehen konnte. Am ende des Ganges stand aber ein junges Fichtenbäumchen, davor lag am Boden ein Holzscheit als Betschemel und in einer Höhe von dreiviertel Klafter hing ein Muttergottesbild. Spuren von Menschentritten waren nicht zu finden, auch kein richtiger Ausgang, da von außen her das Gebüsch allseits verwachsen war. Nun wussten die Leute die große Neuigkeit. Die Alten scheinen sich etwas abwartend verhalten zu haben, die Jungen aber wollten als erste die seltsame Botschaft überprüfen. Sie fanden es so, wie sie gehört hatten und hielten bei dem Bilde eine Andacht. Daheim erzählten sie dann von ihrem Erlebnis. Schon am Nachmittag setzte eine förmliche Völkerwanderung zu der bekannt gewordenen Waldandacht ein. Drei Tage dauerte der Zuzug. Seltsamerweise erhielt der Pfarrer erst am vierten Tag, am Florianifest, davon Kenntnis. Sofort machte er sich auf, die Sache in Augenschein zu nehmen. Mit Furcht und Zittern nahm er das Bild, einen papierenen Kupferstich in der Größe eines Oktav-Blattes, von Bäumchen herunter und betrachtete es. Es stellte eine schmerzhafte Muttergottes vor, umgeben von zwei Engeln. Als Unterschrift war zu lesen: „Schmerzhafte Gnadenbild Maria Taferl“. Das Bild schien dem Pfarrer sehr alt zu sein, es war auf einem eichenen Brett aufgemacht und durch ein Dach gegen Unwetter geschützt; Das Holz war gleichfalls merklich veraltet. Was tun, dachte der Pfarrer. Es schien ihm als das klügste, die Sache einfach nicht zu beachten und einfach gehen zu lassen: „Weil ich einen Theils glaubte, daß nichts ungereimtes zu förchten, andern Theils aber der große Eyfer zum Singen und Betten der Pfarr-Mänge mir eine neue und erfreuliche Zeitung war, so hab ich dazu still geschwiegen, in der Meinung, sie werden eben so freywillig aufhören zu betten, als sie angefangen“, das war des Pfarrers Meinung. Aber er hat sich schwer getäuscht. Die Leute blieben der Andachtsstätte treu. Wer die Waldandacht errichtet hat, darüber weiß auch der Pfarrer nichts Sicheres zu berichten. Der Schlossherr von Wald, Baron Spindler, sprach dem Pfarrer gegenüber, anlässlich seines Besuches desselben, die Vermutung aus, er halte es für wahrscheinlich, dass der selige Müllermeister Ferdinand Posch,(5) ein gewesener Untertan, das Bild aufgestellt habe. Denn er sei ein sehr frommer Mann gewesen und ein besonderer Verehrer der Muttergottes von Maria Taferl, wohin er auch oft wallfahrten gegangen sei, als es ihm Möglich war; der dürfte sich diese Privatandacht aufgerichtet haben als Ersatz für Maria Taferl, als er des Alters wegen dorthin nicht mehr pilgern konnte. Unterstützt wird diese Vermutung noch dadurch, dass diese Gebetsstätte in nächster Nähe der Behausung des Müllers(6) gelegen war.

 

Gnadenbild der schmerzhaften Muttergottes

 

Die Leute blieben also dieser Stätte treu, noch mehr, der Zuzug wurde immer größer und die Waldandacht wurde geradezu ein Heiligtum. Der Wallfahrer wurden immer mehr, besonders nachdem der Ignaz Purtscher, Papierermeister von St Pölten, den Platz in Form einer Kapelle hatte verschlagen lassen. Ebenso hatte er das Bild mit einem ansehnlichen Rahmen, von Bildhauerarbeit versehen, und einen ordentlichen Ausgang und Stiegen dazu machen lassen. Das religiöse Leben in Pyhra wurde durch diese neue Andacht überaus günstig beeinflusst. Die Bürgersleute versammelten sich jeden Abend nach vollendeter Arbeit mit ihren Hausgenossen bei der Waldandacht, beteten dort den Rosenkranz und die Litanei, sangen dazu Muttergotteslieder und zogen dann in zwei Prozessionen, Männer und Frauen getrennt, zum Markt zurück, wo sie bei einem Kreuzbild am Eingang ihre Andacht beschlossen. Darauf gingen alle in größter Stille und Eilfertigkeit nach Hause. P. Honorius war geradezu gerührt vom Eifer seiner Pfarrkinder. „Ich glaubte zwar“, schreibt er, „es würde hiebei villes Ungereimtes passiren und wohl auch Gott dem Herrn in der Pfarr-Kirchen an dem ihm schuldigen Dienst ein Abtrag geschehen, da etwann Sonntag und Feyertag die Leuth ihrer Privat-Andacht abwartend, den allgemeinen Gottesdienst versäumen werden. Allein ich hab mich unter der Hand beflissen, alle mögliche Kundschaft einzuholen und kann selbst bezeugen, wie ich öfters eine, auch zwei Stunden lang im Gebüsch heimlich sitzend nichts anderes gehöret, als singen und Betten mit einem so beständigen Eyfer, gleichsam als wenn man den Himmel Gewalt anthun wolte, und gaben gar still ihr herzliches Vertrauen Sattsam dadurch zu erkennen, daß sie mit seufzendem Herz und weinenden Augen hinweg gegangen. Dem gewöhnlichen Gottesdienst in der Pfarrkirchen wurde hiedurch nicht nur allein kein abtrag gemacht, sondern er nahm dermalen zu, daß alle Sonntag und Feyertag die Kirchen so voll geworden, als in vorigen Zeiten niemals geschehen ist; sogar in den Wochen, sobald man am Thurm das Zeichen zu hl. Meß gab, ging alles der Kirch zu. Was mich aber dabey sonderbahr erfreut, ist dieses, daß ich vor diesen liederliche, theils auch schändliche Lieder, sowohl in den Feldern als auch auf der Gassen hab singen gehört, dermalen aber jung und alt, wenn sie doch außer der Kirch was singen wollen, lauter Muttergotteslieder singen“.

 

So kam der Oktober heran. Die Kunde vom Zulauf des Volkes zum Waldheiligtum in Pyhra war bis nach Wien gedrungen, zum Offizial und Generalvikar des Passauer Bistums.(7) Dem kam die Sache verdächtig vor. Der Abt von Göttweig erhielt denn auch aus Wien ein vom 5. Oktober 1753 datiertes Schreiben desselben: „.. Sonders Liebgeehrter Herr Abbt; Wir haben in sicherer Erfahrenheit gebracht, daß bey der dero exempten Stift incorporirten Pfarr Pyrra zu dem an einem Aichbaum hangenden papierenen Frauenbild schon eine geraume Zeit ein großer Zulauf und Andacht von dem Volke gepflogen, und weillen solcher Bild für miraculos ausgerufen, nicht wenig Opfer abgestattet werden; Zumahlen nun bey dergleichen After- und Winklandachten gemeiniglich Viel ungereimtes passiret, mithin denen übeln Folgerungen in tempore vorzubeugen ist; Also versehen wir uns dahin, es werde unser sondersLiebgeehrter Herr Abbt wegen Abstellung solch unerlaubter Andacht das erforderliche zu Verfügen, und wie solches geschehen, uns in Antwort wissen zu lassen nicht mangeln…“(8) Der Abt von Göttweig Odilo Piazol, erwiederte hierauf, dass er die Sache wohl untersuchen habe lassen, dass er aber auch gefunden, habe, dass der Passauer Offizial sehr einseitig – entweder aus Unkenntnis des Sachverhaltes, oder in böser Absicht – informiert worden sei. Er, der Abt, habe festgestellt, dass „nicht das Mindeste von einem auch nur Schein-habenden Miracul vorgenommen, sondern nur aus einem, weiß nicht woher rührenden Vertrauen von dem umliegenden Volk ein Zugang sich angefangen, und bey selben Bild des Tags hindurch öfters gebettet, und gesungen worden, welches mir nicht die mündeste Forcht, oder Suspicion einer üblen Folgerung, indem dieses alles in Conspectu des gesamten Markts zu Pyrra jederzeit geschehen, hatte verursachen können.“ Die Opfergaben seien nicht von Bedeutung. Um aber doch den etwas zu befürchtenden üblen folgen vorzubeugen, habe er den Auftrag gegeben, das Bildnis zu bequemer Zeit, heimlich und ohne Feierlichkeit, – nach  einer Andacht das zu tun, hätte beim Volke Ärgernis erregt, – in die Pfarrkirche zu übertragen und dort auf einem Seitenaltare aufzustellen. Das sei bereits geschehen.(9)


P. Honorius berichtet, dass die Pfarrkinder mit dieser Übertragung des Bildes nicht recht einverstanden waren. Er verstand es aber doch, die Leute einigermaßen damit zu trösten und zu besänftigen, dass er ihnen erklärte, er habe das Bild nur ihrethalben in die Kirche übertragen, damit sie es zur anbrechenden Winterszeit bequemer aufsuchen und zugleich die hl. Messe hören könnten. Zudem hat der Pfarrer für eine würdige Ausschmückung des Anna-Altares und des Bildes gesorgt, so dass es mehr das Ansehen eines Gnadenbildes bekam. Damit waren die Leute besänftigt.


Die Übertragung des Bildes hatte aber auch seine schlimmen Seiten. Das Vertrauen des Volkes war nicht mehr so vollkommen und in den entlegeneren Orten wurde ausgestreut, die Wallfahrt wäre abgekommen. Und doch wurde wieder alles recht. Eine besondere Verehrerin der schmerzhaften Muttergottes von Pyhra war die Oberin der Englischen Fräulein in St. Pölten. Ihr gutes Beispiel sollte den Leuten wieder Vertrauen einflößen. Am 10. April 1754 kam sie in Begleitung von 19 Englischen Fräulein nach Pyhra zu einer Andacht bei dem geliebten Bilde. Was aber vor allem Aufsehen machte: sie hatte eine gar kunstvolle und kostbare Goldstickerei als Weihegeschenk mitgebracht. Das Bild wurde nun in Gegenwart einer großen Volksmenge vom Altar herabgenommen und die Oberin hat es eigenhändig mit der Goldstickerei geziert. Das geschah alles sehr zur Zufriedenheit der Leute. Dadurch war das Bild wieder zu Ansehen gekommen und das Vertrauen des Volkes war neu erwacht. Als dann am 3. Mai neuerdings 16 Schwestern, die das erste Mal zu Hause hatten bleiben müssen, zu einer Muttergottesandacht nach Pyhra kamen, da setzten auch wieder die Wallfahrten von auswärts in solchem Maße wieder ein, dass manchmal drei Priester Mühe hatten, den Beichtstuhl zu bestreiten. Pyhra war Wallfahrtsort geworden. Bald war auch das äußerliche Bild einer Gnadenstätte da. 69 gemalte Votivbilder und viele Opfergaben aus Holz, Wachs und Silber wurden in den ersten zwei Jahren nach Pyhra gespendet. Von weit und breit kamen die Leute, so von Hafnerbach, Grünau, Herzogenburg, Aggsbach, Eschenau, Michelhausen, St. Veit a. d. Gölsen, Sieghartskirchen, Kirchberg, Kaumberg, Lilienfeld, Hainfeld, Türnitz usw., sogar vom Wienerwald kamen sie, von Purkersdorf und Pressbaum, von Laab i. W. und auch von Wien kamen viele Wallfahrer, darunter einmal vier bürgerliche Gürtlermeister. Auch vornehme Herrschaften besuchten gerne das Gnadenbild von Pyhra; es erscheinen da lauter bekannte Namen, wie: Spindler, Auersperg, Nympf, Kuffstein, Clam, Gudenus, Althann, Harrach, Lamberg u. a. In einem Anhang zur Entstehungsgeschichte der Wallfahrt werden aufgezählt 274 „Gnaden und Gutthaten, welche auf der Anrufung und Fürbitt der Schmerzhaften Mutter Gottes zu Pyhra von Gott sind ertheilt worden“. So groß war das Vertrauen der Leute. Die Wallfahrt wurde auch weiter sehr gepflegt. Erst in den letzten Jahrzehnten ließ sie merklich nach. Daran wird hauptsächlich der so viel beklagte Rückgang der Gläubigkeit des Volkes schuld sein. Aber auch andere Umstände dürften sehr mitbestimmend gewesen sein. Man hat nach und nach die Votivtafeln aus der Kirche entfernt und damit dem Bilde die entsprechende Umrahmung genommen. Dazu hat das Bild neuerlich seinen Aufstellungsplatz wechseln müssen. Die Transferierung  des Bildes hatte schon einmal das Vertraue der Leute erschüttert. Nun glaubte man, das Gnadenbild bei der Errichtung des neuen Hochaltares im Jahre 1900 auf diesem unterbringen zu müssen und hat dabei dem Bilde einen so ungünstigen Platz gegeben, dass es selbst aus der Nähe nur schwer zu sehen ist. Damit musste förmlich das äußere Ansehen des Bildes und weiters die innere Andacht und das Vertrauen schwinden.


Die Erinnerung an die Wallfahrt zu Pyhra möge ein Hinweis sein auf die innig-gläubige Marienverehrung unserer Vorfahren, zugleich ein Beitrag für die Geschichte der Religiösität unserer engeren Heimat.

 

(1)     P. Adalbert Faber, Kurze Geschichte der Entstehung der Wallfahrt nach Pyhra, St. Pölten, 1877, S. 8.

(2)     Es kommen noch Prozessionen von Wald nach Gattmannsdorf.

(3)     Pfarrarchiv Pyhra: „Beschreibung der Marianischen Wallfahrt in der dem Freyen und Exempten Stüfft Göttweig incorporierten Pfarr zu Pyrrha von ihrem ursprung den 1. Mai 1753 und fortgang bis 1. Mai 1755“. Weiters berichten davon noch drei Hanschriften, von verschiedener Hand geschrieben.

(4)     Die heute sogenannte Teichwiese im Pfarrerwald.

(5)     Am 12. Februar 1748 im Alter von 64 Jahren laut Sterbebuch I, 121, begraben.

(6)     „Im Steinbruch“, vermutlich die heutige Grabenbauermühle.

(7)     Pyhra unterstand damals noch, wie überhaupt das ganze Gebiet des heutigen Bistums St. Pölten, der Diözese Passau.

(8)     Original im Archiv des Stiftes Göttweig, Abschrift im Pfarrarchiv.

(9)     Original im Archiv des Stiftes Göttweig, Abschrift im Pfarrarchiv.